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J 538
{Sutta: J_vi_001|J 538|J 538} {Vaṇṇanā: atta. J 538|atta. J 538}
Die Erzählung von dem stummen Krüppel
538
Mugapakkha-Jataka (Mugapakkhajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Chaṭṭho bhāgo

XXII. Maha-Nipata (Zweiundzwanzigste Buch)

Nicht deine Weisheit

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die große Weltentsagung. Eines Tages nämlich hatten sich die Mönche in der Lehrhalle versammelt und priesen den Ruhm der großen Weltentsagung des Meisters.

Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier versammelt?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach der Meister: „Ihr Mönche, dass ich jetzt, da ich die Vollkommenheiten erfüllt habe, das Königreich aufgab und die Welt verließ, ist nicht wunderbar; denn auch als ich mit einer Erkenntnis, die noch nicht zur Reife gelangt war, die Vollkommenheiten zu erfüllen suchte, verzichtete ich auf die Königsherrschaft und verließ die Welt.“ Nach diesen Worten erzählte er auf ihre Bitte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Ehedem führte zu Benares ein König namens Kasi [1] in Gerechtigkeit die Herrschaft. Er hatte sechzehntausend Frauen; von diesen aber bekam keine einzige weder einen Sohn noch eine Tochter. Da die Städter dachten: „Unser König hat keinen Sohn, der die Dynastie fortführt“, versammelten sie sich in der im Kusa-Jātaka [Jātaka 531] angegebenen Art und sagten zum König: „Bitte um einen Sohn!“ Der König befahl seinen sechzehntausend Frauen: „Betet um einen Sohn!“ Diese baten darum, indem sie dem Mondgotte u. a. Verehrung erwiesen, bekamen aber doch keinen.

Seine erste Gemahlin aber, die Tochter des Königs Madda, Candadevi mit Namen, war tugendhaft. Auch zu ihr sagte er: „Wünsche dir einen Sohn!“ Am Vollmondstage hielt sie das Uposatha; auf einem niedrigen Lager liegend betrachtete sie ihre Tugend und betätigte folgende Wahrheitsbekräftigung: „Wenn meine Tugend ungebrochen ist, soll mir durch diese Wahrheit ein Sohn zuteil werden.“

Von der Glut ihrer Tugend wurde Sakkas Thron heiß. Sakka dachte darüber nach, und als er den Grund erkannte, dachte er: „Die Fürstin Canda verlangt nach einem Sohn; ich werde ihr einen Sohn geben.“ Während er sich aber nach einem für sie passenden Sohn umsah, bemerkte er den Bodhisattva. Nachdem nämlich damals der Bodhisattva zwanzig Jahre lang zu Benares geherrscht hatte, wurde er, als er dort starb, in der Ussada-Hölle wiedergeboren. Nachdem er hier achtzig-tausend Jahre lang gepeinigt worden war, nahm er seine Wiedergeburt im Himmel der dreiunddreißig Götter, und nachdem er auch dort, solange es ihm bestimmt war, verweilt hatte, wollte er nach seinem Weggange von dort in eine höhere Götterwelt gelangen. Gott Sakka ging zu ihm hin und sprach zu ihm: „Mein Lieber, wenn du in die Menschenwelt kommst, wirst du die Vollkommenheiten erlangen und eine Stärkung werden für viel Volks. Die erste Gemahlin des Königs von Kasi, mit Namen Canda, wünscht sich einen Sohn; gehe in ihren Schoß ein!“ Jener gab seine Zustimmung, verließ mit fünfhundert Göttersöhnen den Himmel und nahm in dem Schoße von jener seine Wiedergeburt; die übrigen Göttersöhne nahmen im Schoße der Gattinnen der Hofleute ihre Wiedergeburt. Der Schoß der Fürstin war wie mit Diamanten gefüllt. Als sie bemerkte, dass sie empfangen habe, meldete sie dies dem Könige und dieser ließ ihr die Empfängnisehren erweisen. Da aber ihre Leibesfrucht zur Reife gelangt war, gebar sie einen Sohn, der mit den guten Vorzeichen ausgestattet war. An demselben Tage wurden in den Häusern der Hofleute fünfhundert Knaben geboren.

In diesem Augenblick saß gerade der König, umgeben von der Schar seiner Hofleute, in seinem Thronsaal; da meldete man ihm: „Ein Sohn ist dir geboren, o Fürst.“ Als dieser das Wort vernahm, kam die Vaterliebe über ihn, sie durchdrang seine Haut usw. und blieb erst in dem Marke seiner Knochen stecken. In sein Inneres drang die Liebe und sein Herz wurde erfrischt. Hierauf fragte er seine Hofleute: „Seid ihr erfreut, dass mir ein Sohn geboren wurde?“ Sie erwiderten: „Was sagt Ihr, o Fürst? Wir waren vorher hilflos und haben jetzt einen Helfer erhalten; ein Herr ist uns zuteil geworden.“

Darauf befahl der König dem Oberheerführer: „Mein Sohn muss ein Gefolge erhalten; sieh nach, wie viel Knaben heute in den Familien der Hofleute geboren wurden.“ Als jener die fünfhundert Knaben bemerkte, kehrte er zurück und meldete es dem Könige. Der König schickte den fünfhundert Knaben Prinzenschmucksachen und sandte ihnen auch fünfhundert Ammen. Für den Bodhisattva aber vermied er die Fehler der allzu großen Länge u. dgl. und gab ihm vierundsechzig Ammen mit nicht herabhängenden Brüsten und süßer Milch. — Wenn nämlich ein Knabe auf dem Schoße einer allzu großen Frau sitzend Milch trinkt, wird sein Hals zu lang; wenn er auf dem Schoße einer allzu Kleinen sitzend trinkt, wird ihm der Schulterknochen heruntergedrückt; wenn sie auf dem Schoße einer allzu Mageren sitzend trinken, tun ihnen die Schenkel weh; wenn sie auf dem Schoße einer allzu Dicken sitzend trinken, werden die Füße verkrümmt; von einer zu Dunkeln ist der Körper [3] zu kalt, von einer zu hellen ist er zu heiß; bei denen, die aus einer hängenden Brust Milch trinken, werden die Nasenspitzen nach oben gedrückt; bei einigen ferner ist die Milch bitter, bei anderen aber ist sie von scharfer Beschaffenheit usw. Darum vermied er alle diese Fehler und gab ihm vierundsechzig Ammen, die frei von den Fehlern der allzu großen Länge u. ä. waren, die keine hängenden Brüste besaßen und süße Milch hatten. Auch erwies er ihm große Ehrung und gewährte auch der Fürstin Canda einen Wunsch. Diese nahm ihn an und hob ihn für später auf. Am Namengebungstage des Prinzen erwies der König den Brahmanen, die Zeichendeuter waren, große Ehrung und fragte sie dann, ob eine Gefahr ihm drohe. Als diese die Fülle der günstigen Vorzeichen an ihm bemerkten, sprachen sie: „O Großkönig, die Vorzeichen des Reichtums und der Tugend trägt der Prinz; sehe man ab von einem Erdteil, auch über die vier Erdteile ist er im Stande, die Herrschaft auszuüben. Für ihn ist keine Gefahr vorhanden.“ Der König war über sie befriedigt. Als er nun dem Prinzen einen Namen geben wollte, gab er ihm den Namen Prinz Temiya (=Nass), weil es am Tage seiner Geburt im ganzen Königreiche Kasi geregnet hatte und der Prinz deshalb nass geworden war.

Als dieser einen Monat alt geworden war, schmückte man ihn und brachte ihn so zum König. Der König schaute seinen lieben Sohn an, umarmte ihn, setzte ihn auf seinen Schoß und ließ sich erfreut auf seinen Sitz nieder. In diesem Augenblick wurden vier Räuber herbeigebracht; von diesen verurteilte er den einen zu tausend Hieben mit dornenbesetzten Peitschen, den andern zur Fesselung und Aufbewahrung im Gefängnis, den dritten dazu, dass sein Körper mit Spießen zerstochen werde, den vierten zur Pfählung. Als das große Wesen diese Worte seines Vaters vernahm, wurde es von Furcht erfüllt und es dachte bei sich: „Ach, mein Vater tut wegen der Herrschaft eine schwere Tat, die zur Hölle führt.“

Am nächsten Tage aber legte man ihn unter den weißen Sonnenschirm auf ein reichgeschmücktes fürstliches Lager. Nachdem er ein wenig geschlafen hatte, erwachte er, öffnete seine Augen, schaute den weißen Sonnenschirm an und sah die große Herrlichkeit. Da bekam er, der schon von Natur ängstlich war, noch mehr Furcht und er überlegte: „Woher bin ich denn in dies Königshaus gelangt?“ Da erkannte er durch seine Erinnerung an seine frühere Existenz, dass er aus der Götterwelt hergekommen sei; und als er noch weiter zurückschaute, erkannte er, dass er in einer Hölle gepeinigt worden war; als er aber noch weiter zurückblickte, merkte er, dass er in dieser selben Stadt König gewesen war. Da kam ihm folgender Gedanke: „Nachdem ich zwanzig Jahre lang König gewesen war, wurde ich achtzigtausend Jahre lang in der Ussada-Hölle gepeinigt; jetzt aber bin ich abermals in diesem Räuberhause geboren. Auch mein Vater hat, als gestern die vier Räuber zu ihm gebracht wurden, ein solch grausames, die Hölle verdienendes Wort gesprochen. Wenn ich zur Herrschaft komme, werde ich abermals in der Hölle wiedergeboren werden und schweres Leid erdulden.“ Als er so überlegte, befiel ihn große Furcht. Sein goldfarbener Körper wurde missfarbig und welk wie eine Lotosblume, die man mit der Hand berührt. Er lag da, indem er nachdachte: „Wie kann ich mich wohl aus diesem Räuberhause befreien?“

Da tröstete ihn eine Gottheit, die in einer früheren Existenz seine Mutter gewesen war und die in dem Sonnenschirm wohnte, mit folgenden Worten: „Lieber Temiya, fürchte dich nicht! Wenn du dich von hier befreien willst, so werde, obwohl du kein verwachsener Krüppel bist, wie ein verwachsener Krüppel; obwohl du nicht stumm bist, sei, als wärest du stumm; obwohl nicht taub, stelle dich taub. Indem du diese drei Merkmale zeigst, verrate nicht deine Weisheit.“ Und sie sprach folgende erste Strophe:

[§1] „Nicht deine Weisheit lasse sehen, als Tor werde geschätzt bei allen Wesen. Das ganze Volk soll dich verachten; so wird dein Zweck dir in Erfüllung gehen.“

Der Prinz wurde durch diese Worte getröstet und sprach folgende Strophe:

[§2] „Ich will nach deinen Worten tun, die du zu mir gesagt, o Gottheit; auf meinen Nutzen bist du aus, o Mutter, auf mein Heil, du Gottheit!“

Und er betätigte diese drei Merkmale.

Damit nun der Prinz seine Missstimmung aufgebe, tat man die fünfhundert Knaben immer in dessen Nähe. Diese Knaben weinten, wenn sie trinken wollten; das große Wesen aber dachte, von Furcht vor der Hölle erfüllt: „Auch zu vertrocknen und zu sterben ist besser für mich als auf den Thron zu kommen“, und weinte nicht. Die Ammen meldeten diese Begebenheit der Fürstin Canda; diese erzählte es dem Könige. Der König ließ die Zeichendeuter-Brahmanen rufen und fragte sie. Die Brahmanen antworteten: „O Fürst, man muss bei dem Prinzen die gewohnte Zeit, ihm Milch zu geben, vorübergehen lassen. So wird er weinend die Brust fest fassen und selbst trinken.“ Von da an gab man ihm Milch, indem man dabei die gewohnte Zeit außer acht ließ; dabei überging man manchmal nur ein einziges Mal, manchmal gab man ihm auch den ganzen Tag keine Milch. Von Furcht vor der Hölle erfüllt aber weinte er wegen der Milch nicht, obwohl er ganz vertrocknete. Obwohl er aber nicht weinte, dachte doch seine Mutter: „Mein Sohn ist hungrig“, und gab ihm Muttermilch zu trinken oder auch die anderen Ammen. Die übrigen Knaben aber weinten immer zur Zeit, wo sie keine Milch erhielten; er dagegen weinte nicht und schlief nicht; er krümmte nicht Hände noch Füße, er hörte auf keinen Laut.

Seine Ammen aber sagten: „Bei Krüppeln sind Hände und Füße nicht derartig, bei Stummen sehen die Enden der Kinnbacken nicht so aus, bei Tauben ist das Ohr nicht derart. Hier muss eine besondere Ursache vorhanden sein; wir wollen ihn auf die Probe stellen!“ Indem sie verabredeten: „Wir wollen ihn mit Milch auf die Probe stellen“, gaben sie ihm den ganzen Tag keine Milch. Obwohl er aber ganz austrocknete, gab er doch um der Milch willen keinen Laut von sich. Da sagte seine Mutter: „Mein Sohn ist hungrig; gebt ihm Milch!“, und veranlasste, dass ihm Milch gegeben wurde. Während sie ihm so mit Unterbrechung Milch gaben, stellten sie ihn ein ganzes Jahr lang auf die Probe, bemerkten aber kein Hindernis.

Darauf dachten sie: „Die Kinder lieben doch Kuchen und Süßigkeiten; damit wollen wir ihn auf die Probe stellen.“ Sie setzten die fünfhundert Knaben neben den Prinzen, trugen verschiedene Arten von Kuchen auf, stellten sie unweit von ihnen und sagten zu ihnen: „Nehmet nach Gefallen von diesen Süßigkeiten!“ Sie selbst stellten sich verborgen auf. Darauf nahmen die übrigen Knaben, indem sie sich stritten und einander schlugen, die Kuchen und verzehrten sie; das große Wesen aber dachte: „Temiya, wenn du nach der Hölle verlangst, so verlange nach diesen süßen Kuchen“, und von Furcht vor der Hölle erfasst schaute es die Kuchen gar nicht an. Nachdem es die Ammen so auch mit Kuchen und Süßigkeiten ein Jahr lang auf die Probe gestellt hatten, bemerkten sie immer noch nicht das Hindernis.

Darauf dachten sie: „Den Knaben sind doch Waldfrüchte lieb“, und sie brachten verschiedene Arten von Früchten herbei und versuchten ihn. Darauf aßen die übrigen Knaben streitend die Früchte auf, jener aber schaute sie nicht an; so versuchten sie ihn ein Jahr lang mit Früchten und Obst. Dann dachten sie: „Den Knaben ist doch Spielzeug lieb“, und stellten aus Gold u. ä. gefertigte Elefantenfiguren u. dgl. unweit von ihm auf. Die übrigen Knaben ergriffen dies, als wollten sie es rauben, das große Wesen aber schaute es nicht an; so versuchten sie es auch mit Spielzeug ein Jahr lang. Darauf dachten sie: „Für vierjährige Knaben gibt es bestimmte Speisen; damit wollen wir ihn versuchen“, und sie trugen verschiedene Speisen herbei. Die übrigen Knaben machten einen Bissen nach dem andern und verzehrten sie; das große Wesen aber dachte: „Temiya, du kannst deine Existenzen nicht zählen, in denen du keine Nahrung erhalten hättest“, und schaute sie von Furcht vor der Hölle erfüllt nicht an. Seine Mutter aber gab ihm mit eigener, kraftloser Hand Speise, im Herzen gespalten [4].

Darauf dachten die Ammen: „Knaben von fünf Jahren fürchten sich vor dem Feuer; damit wollen wir ihn auf die Probe stellen.“ Sie machten ein großes Haus mit vielen Türen und bedeckten es mit Palmblättern; in dessen Mitte setzten sie ihn nieder, umgeben von den übrigen Knaben, und brachten dann Feuer daran. Die übrigen Knaben liefen laut schreiend davon; das große Wesen aber dachte: „Dies ist noch besser als das Brennen in der Hölle“, und blieb unbeweglich wie einer, der des Nirvana teilhaftig ist. Als aber das Feuer an ihn herankam, ergriffen sie ihn und brachten ihn fort.

Darauf dachten sie: „Die Knaben von sechs Jahren fürchten sich vor rasenden Elefanten.“ Sie richteten einen gelehrigen Elefanten ab, setzten den Bodhisattva umgeben von den übrigen Knaben in den Hof des Palastes und ließen den Elefanten los. Dieser kam herbei, indem er den Trompetenton ausstieß, mit dem Rüssel den Boden schlug und so Schrecken verbreitete. Die übrigen Knaben liefen von Todesangst ergriffen nach den verschiedenen Richtungen davon; das große Wesen aber blieb von Furcht vor der Hölle erfüllt sitzen. Der wohlabgerichtete Elefant fasste es, schwang es hierhin und dahin und ging dann wieder fort, ohne ihm ein Leid zuzufügen.

Als er im Alter von sieben Jahren einmal dasaß, umgeben von den übrigen Knaben, ließen sie Schlangen los, deren Zähne ausgezogen waren und deren Rachen sie gebunden halten. Die übrigen Knaben liefen laut schreiend davon; das große Wesen aber erwog das Leben in der Hölle und dachte: „Durch den Biss einer giftigen Schlange umzukommen ist noch besser.“ Daher blieb es unbeweglich. Die Schlangen aber umschlangen seinen ganzen Körper und setzten sich, indem sie über seinem Haupte ihre Haube machten; aber auch jetzt blieb es noch unbeweglich. Obwohl sie ihn nach den verschiedenen Richtungen untersuchten, fanden sie doch nicht das Hindernis an ihm.

Darauf dachten sie: „Knaben verlangen nach Festlichkeiten“, Sie setzten ihn mit den fünfhundert Knaben in den Hof des Palastes und veranstalteten ein Gauklerfest. All die übrigen Knaben das Fest sahen, riefen sie: „Gut“, und brachen in ein lautes Gelächter aus. Das große Wesen aber überlegte: „Wenn du in der Hölle wiedergeboren bist, gibt es keinen einzigen Augenblick ein Lachen oder eine Freude.“ So blieb es, indem es an die Furcht vor der Hölle dachte, ganz unbeweglich und blickte nicht hin. Während sie ihn aber so ununterbrochen auf die Probe stellten, fanden sie doch nicht das Hindernis an ihm.

Darauf dachten sie: „Wir wollen ihn mit dem Schwert auf die Probe stellen“, und setzten ihn zusammen mit den fünfhundert Jünglingen in den Hof des Palastes. Als nun dort die Knaben spielten, lief ein Mann herbei, der ein Schwert blitzend wie Kristall schwang, umherhüpfte und rief: „Der Unglücksvogel, der einzige Sohn des Königs von Kasi, wo ist er? Ich will ihm das Haupt abschlagen!“ Als ihn die übrigen Knaben sahen, liefen sie von Furcht ergriffen davon; der Bodhisattva aber dachte an die Furcht vor der Hölle und blieb sitzen, als ob er ihn nicht bemerkte. Darauf berührte ihn jener Mann mit dem Schwerte am Haupte; obwohl er ihn aber mit dem Rufe: „Ich werde dir den Kopf abschlagen“, zu erschrecken suchte, erschreckte er ihn doch nicht und ging wieder fort. Obwohl sie ihn also immer wieder auf die Probe stellten, fanden sie doch nicht das Hindernis an ihm.

Als er nun zehn Jahre alt geworden war, stellten sie, um seine Taubheit auf die Probe zu stellen, um sein Lager ein Zelt und machten an den vier Seiten Löcher hinein. Dann ließen sie, ohne dass er es merkte, unter seinem Lager Muschelbläser sich niedersetzen und ließen diese auf einen Schlag in ihre Muscheltrompeten blasen. Es war alles von Lärm erfüllt. Die Hofleute, die an den vier Löchern standen, sahen durch das Loch im Zelte hinein, konnten aber bei dem großen Wesen an keinem einzigen Tage eine Sinnesverwirrung oder eine Veränderung der Lage seiner Hände und Füße oder auch nur ein Zucken wahrnehmen. Nachdem so ein ganzes Jahr vergangen war, stellten sie ihn ebenso durch Trommelschlag auf die Probe, konnten aber auch das Hindernis an ihm nicht finden.

Darauf dachten sie: „Wir wollen ihn mit einer Lampe auf die Probe stellen.“ Zur Nachtzeit zündeten sie, um zu sehen, ob er in der Dunkelheit eine Hand oder einen Fuß bewege oder nicht, in Töpfen Lampen an und löschten die übrigen Lampen aus. Nachdem sie dann ein wenig in der Dunkelheit gewartet hatten, hoben sie die Lampen aus den Töpfen, machten es auf einen Schlag hell und beobachteten nun sein edles Verhalten. Obwohl sie ihn aber auch so ein Jahr lang auf die Probe stellten, bemerkten sie an ihm nicht einmal ein Zucken.

Darauf dachten sie: „Wir wollen ihn mit Butter auf die Probe stellen.“ Sie bestrichen seinen ganzen Körper mit Butter, legten ihn an einen mückenreichen Ort und ließen die Mücken an ihn. Diese umringten seinen ganzen Körper und fraßen daran, als ob sie ihn mit Nadeln verwundeten. Er aber blieb unbeweglich wie einer, der mit vollkommener Empfindungslosigkeit ausgestattet ist. Während sie ihn auch auf diese Weise ein Jahr auf die Probe stellten, fanden sie doch nicht das Hindernis an ihm.

Als er dann vierzehn Jahre alt geworden, dachten sie: „Jetzt ist er alt; er liebt die Sauberkeit und empfindet Ekel vor der Unsauberkeit; wir wollen ihn mit Unreinheit auf die Probe stellen.“ Von da an badeten sie ihn nicht mehr noch wuschen sie ihn. Wenn er Kot und Urin von sich gab, blieb er dortselbst damit bedeckt liegen. Durch seinen üblen Geruch war es, wie wenn etwas, das innen zurückgehalten war, herauskommt. Die Mücken fraßen an ihm. Da umringten ihn die Hofleute, schalten und tadelten ihn mit folgenden Worten: „Temiya, jetzt bist du alt. Wer soll dich überall pflegen? Schämst du dich nicht? Warum bleibst du liegen? Stehe auf und pflege deinen Körper!“ Er aber, obwohl in diesem Kothaufen fast versunken, dachte an den üblen Geruch der Gutha-Hölle (= Unrathölle), die durch ihren üblen Geruch das Herz von Leuten, die hundert Meilen davon entfernt stehen, zu erschüttern im Stande ist, und blieb gleichgültig. Und obwohl man ihn so ein ganzes Jahr lang auf die Probe stellte, fand man doch nicht das Hindernis an ihm.

Darauf taten sie unter sein Bett Schalen mit Feuer und dachten: „Vielleicht wird er, wenn er von der Hitze gequält wird, den Schmerz nicht aushalten und ein Zucken sehen lassen.“ An seinem Körper erhoben sich Blasen; das große Wesen aber tröstete sich: „Die Glut der Avici-Hölle erstreckt sich hundert Meilen weit; im Vergleich zu jenem Leiden ist dies Leid hundertmal und tausendmal besser“, und blieb unbeweglich. Darauf ließen seine Eltern mit gebrochenem Herzen die Leute wieder zurücktreten, entfernten ihn von der Feuersglut und sprachen zu ihm: „Lieber Prinz Temiya, wir wissen, dass du kein Krüppel bist; bei diesen sind die Füße, der Mund und die Ohren nicht derartig. Dich haben wir auf unser Gebet hin als Sohn erhalten; richte uns nicht zugrunde. Erlöse uns von der Schande bei den Königen von ganz Indien.“ So baten sie ihn; er aber blieb trotz ihrer Bitten, als ob er sie nicht hörte, unbeweglich liegen. Darauf entfernten sich seine Eltern weinend; manchmal kam sein Vater allein zu ihm und bat ihn, manchmal seine Mutter. So prüften sie ihn ein ganzes Jahr lang ununterbrochen, konnten aber trotzdem das Hindernis an ihm nicht finden.

Als er so sechzehn Jahre alt geworden war, dachten seine Eltern: „Mag er nun ein Krüppel sein oder mag er auch taubstumm sein: wenn das richtige Alter eingetreten ist, gibt es keinen, der sich nicht an dem Lust Erregenden erfreute und der sich von Unliebem nicht abwendete. Dieses Verhalten ist so, wie wenn zur bestimmten Zeit die Blume sich öffnet. Wir wollen Tänzerinnen herbeibringen und ihn dadurch auf die Probe stellen.“ Sie ließen Mädchen zu sich rufen, die an Schönheit Göttermädchen glichen und mit höchstem Liebreiz ausgestattet waren, und sagten zu ihnen: „Wer von euch den Prinzen zum Lachen bringt oder ihn durch Sinnenlust zu fesseln vermag, die soll seine erste Gemahlin werden.“

Darauf ließen sie den Prinzen in duftendem Wasser baden, schmückten ihn wie einen Königssohn, ließen ihn in fürstlichen Gemächern, die den Götterwohnungen glichen, ein hergerichtetes fürstliches Lager besteigen, erfüllten das Innere seines Gemaches ganz mit Wohlgerüchen durch duftende Girlanden, Blumengirlanden, Weihrauch, Parfüms, Tropfen von geistigen Getränken u. dgl. mehr, und zogen sich dann zurück. Hierauf umringten ihn die Mädchen und bemühten sich, ihn mit Tanz und Gesang und mit mancherlei süßen Worten u. dgl. zu erfreuen. Er aber schaute mit seiner vollendeten Einsicht diese Mädchen an, und indem er dachte: „Sie sollen keine Bewegung meines Körpers finden“, hielt er das Einatmen und das Ausatmen an. Dadurch wurde sein Körper starr. Als sie aber keine Bewegung seines Körpern merkten, meldeten sie seinen Eltern: „Er hat einen starren Körper; er ist kein Mensch, ein Dämon wird er sein.“ Während ihn aber so seine Eltern unaufhörlich auf die Probe stellten, fanden sie doch nicht das Hindernis an ihm. Obwohl sie ihn also sechzehn Jahre lang mit sechzehn großen Prüfungen und mit manchen kleinen Prüfungen geprüft hatten, konnten sie ihn doch nicht überlisten.

Da wurde, sein Vater ärgerlich; er rief die Zeichendeuter zu sich und sagte zu ihnen: „Ihr erzähltet mir, als der Prinz geboren war, er habe die Vorzeichen von Reichtum und Tugend, es gebe kein Hindernis für ihn. Jetzt aber ist er ein taubstummer Krüppel geworden; eure Rede passt nicht.“ Sie antworteten: „O Großkönig, es gibt nichts, das die Meister nicht sehen; aber weil Ihr, wenn wir gesagt hätten, der von der Königsfamilie durch ihr Gebet erhaltene Sohn sei ein Unglücksvogel, traurig geworden wäret, haben wir dies nicht gesagt.“ Der König fragte weiter: „Was muss man jetzt tun?“ Sie antworteten: „O Großkönig, so lange dieser Prinz in diesem Hause lebt, gibt es drei Gefahren, für dein Leben oder für die Herrschaft oder für die Königin. Deshalb soll man an einen unglückbringenden Wagen unglückbringende Pferde spannen, ihn auf den Wagen legen, ihn so zum Westtor heraus bringen lassen und ihn auf dem Leichenfelde vergraben.“ Erschreckt über die Kunde von den Gefahren stimmte der König zu. Als die Königin Canda diese Begebenheit vernahm, ging sie zum Könige hin und sprach: „O Fürst, Ihr habt mir einen Wunsch geschenkt; ich nahm ihn an und hob ihn auf. Erfüllt mir ihn jetzt!“ „Sprecht ihn aus, Fürstin“, versetzte der König. „Gebt meinem Sohne die Herrschaft“, fuhr die Königin fort. „Ich kann nicht, Fürstin, dein Sohn ist ein Unglücksvogel“, antwortete der König. „Wenn Ihr sie ihm nicht zeitlebens geben wollt, so gebt sie ihm für sieben Jahre.“ „Ich kann nicht, Fürstin.“ „So gebt sie ihm also für sechs Jahre, fünf, vier, drei, zwei Jahre, ein einziges Jahr, sieben Monate, sechs, fünf, vier, drei, zwei Monate, einen Monat, einen halben Monat.“ „Ich kann es nicht, o Fürstin.“ „So gebt ihm also die Herrschaft für sieben Tage!“ „Gut, nimm sie“, antwortete der König.

Darauf ließ sie ihren Sohn schmücken. In der ganzen Stadt ließ sie durch Trommelschlag verkünden: „Der Prinz Temiya übernimmt die Herrschaft.“ Dann befahl sie, die Stadt zu schmücken, ließ ihren Sohn auf den Rücken eines Elefanten steigen, den weißen Sonnenschirm über sein Haupt halten und ihn die Stadt von rechts umreiten. Als er zurückgekehrt war, ließ sie ihn sich auf sein fürstliches Lager legen und bat ihn die ganze Nacht: „Mein teurer Sohn Temiya, um deinetwillen fand ich sechzehn Jahre lang keinen Schlaf; durch meine Tränen wurden meine Augen geschwollen und mein Herz ist vor Kummer fast gebrochen. Ich weiß, dass du kein Krüppel oder etwas ähnliches bist; mache mich nicht unglücklich!“ Auf diese Weise bat sie ihn auch am andern Tage und am nächsten Tage, im ganzen fünf Tage lang.

Am sechsten Tage ließ der König seinen Wagenlenker namens Sunanda zu sich rufen und sprach zu ihm: „Mein Lieber, morgen in der Frühe spanne unglückbringende Pferde an einen unglückbringenden Wagen, lasse den Prinzen Temiya sich darauf legen und bringe ihn zum Westtor hinaus. Auf dem Leichenfelde grabe eine Grube mit vier Wänden; wirf ihn dort hinein, zerschmettere ihm mit dem Spaten den Kopf und bringe ihn so ums Leben. Streue dann Staub darauf, mache die Erde wieder fest darüber; dann bade dich und komme zurück!“

Auch in der sechsten Nacht bat die Königin ihren Sohn und sprach zu ihm: „Mein Sohn, der König von Kasi hat befohlen, dich morgen auf dem Leichenfelde einzugraben; morgen wirst du sterben müssen, mein Sohn!“ Als dies das große Wesen hörte, dachte es: „Temiya, deine sechzehn Jahre lang betätigte Anstrengung ist jetzt zu ihrem Ziele gelangt.“ Dabei jedoch stieg in seinem Innern Liebe auf; das Herz seiner Mutter aber war wie gebrochen. Trotzdem aber dachte er: „Dass nur mein Wunsch auch wirklich zu seiner Erfüllung komme“, und redete nicht mit ihr.

Nach Ablauf dieser Nacht aber spannte der Wagenlenker Sunanda die Pferde an den Wagen, stellte sie am Tore auf, ging in das fürstliche Schlafgemach hinein und sagte: „O Fürstin, zürne mir nicht; es ist Befehl des Königs.“ Er schob die Königin, die ihren Sohn umfasst haltend dalag, mit dem Handrücken beiseite, hob den Prinzen wie ein Bündel Blumen in die Höhe und stieg aus dem Palaste hinab. Die Königin Canda blieb im Saale liegen, indem sie ihre Brust schlug und laut jammerte. Als sie das große Wesen anschaute, dachte es: „Wenn ich nicht reden werde, so wird sie an gebrochenem Herzen sterben.“ Obwohl es aber Lust bekam zu reden, dachte es doch: „Wenn ich reden werde, wird meine sechzehn Jahre lang betätigte Bemühung vergeblich sein; wenn ich aber nicht rede, werde ich für mich sowohl wie für meine Eltern eine Hilfe werden“, und es hielt an sich.

Darauf ließ es der Wagenlenker auf den Wagen hinaufsteigen, und indem er dachte: „Ich will den Wagen nach dem Westtor hinlenken“, lenkte er ihn nach dem Westtor hin und das Rad des Wagens stieß an dessen Schwelle an. Als das große Wesen diesen Laut hörte, dachte es: „Mein Wunsch ist zu seinem Ziel gelangt“, und war noch weit mehr erfreut. Der Wagen fuhr, nachdem er die Stadt verlassen, durch göttliche Macht an einen Ort, drei Meilen weit. Dort kam ein Gehölz dem Wagenlenker wie ein Leichenfeld vor; er dachte: „Dieser Ort ist passend“, ließ den Wagen halten und stellte ihn neben den Weg. Dann stieg er vom Wagen herab, löste von dem großen Wesen alle Schmucksachen ab, machte ein Bündel daraus und legte sie beiseite. Hierauf nahm er einen Spaten und begann, unweit eine Grube zu graben.

Jetzt dachte der Bodhisattva: „Jetzt ist es Zeit mich zu bemühen. Ich habe mich ja sechzehn Jahre lang mit Händen und Füßen nicht gerührt; sind sie wohl in meiner Macht oder nicht?“ Er erhob sich, strich mit der linken Hand seine rechte und mit der rechten Hand seine linke; nachdem er sodann mit beiden Händen seine Füße berührt hatte, fasste er den Gedanken, vom Wagen herabzusteigen. Sogleich erhob sich an der Stelle, wo seine Füße herunterkamen, die große Erde wie ein Ledersack voll Luft und blieb stehen, indem sie das hintere Ende des Wagens berührte. Er stieg herab, ging einige Male immer wieder auf und ab und merkte: „Auf diese Weise bin ich stark genug, an einem einzigen Tage auch hundert Meilen zu gehen.“ Ferner wollte er untersuchen: „Wenn der Wagenlenker mit mir kämpfen wollte, habe ich da die Kraft, um ihm zu widerstehen?“ Deshalb fasste er den Wagen am hinteren Ende, stellte sich hin und hob ihn in die Höhe wie einen Wagen, der den Kindern als Spielzeug dient. So merkte er, dass er Kraft habe zum Widerstande, und bekam jetzt Lust, sich zu schmücken.

In diesem Augenblicke wurde Gott Sakkas Sitz heiß. Als Sakka die Ursache davon wahrnahm, dachte er: „Der Wunsch des Prinzen Temiya ist zu seinem Ziele gelangt; er hat jetzt Lust bekommen, sich zu schmücken. Was soll er mit menschlichem Schmuck?“ Er ließ Vissakamma göttlichen Schmuck nehmen und schickte ihn fort mit dem Auftrag: „Gehe und schmücke den Sohn des Königs von Kasi.“ Dieser gab seine Zustimmung, ging hin, machte eine Bekleidung aus zehntausend Tüchern und zierte ihn mit göttlichem und menschlichem Schmucke, als wäre es Sakka selbst. Mit der Anmut des Götterkönigs ging er darauf zu der Grube hin, die der Wagenlenker grub, trat an den Rand der Grube und sprach folgende dritte Strophe:

[§3] „Warum gräbst du mit großem Eifer, o Wagenlenker, diese Grube? Da ich dich frage, sag mir's, Lieber, was willst du mit der Grube machen?“

Als dies der Wagenlenker hörte, während er seine Grube grub, sprach er, ohne in die Höhe zu schauen, folgende vierte Strophe:

[§4] „Des Königs Sohn ist stumm geboren, er ist ein unvernünft'ger Krüppel. Ich bin vom Könige beauftragt: ‘Begrabe meinen Sohn im Walde!’“

Darauf sprach zu ihm das große Wesen:

[§5] „Ich bin nicht stumm und auch nicht taub, bin nicht verkrüppelt und nicht lahm; ein Unrecht tust du, Wagenlenker, dass du mich willst im Wald begraben. [§6] Sieh meinen Schenkel, meinen Arm und höre auch, wie ich kann reden; ein Unrecht tust du, Wagenlenker, dass du mich willst im Wald begraben.“

Da dachte der Wagenlenker: „Wer ist denn dies? Seitdem er gekommen ist, preist er nur sich selbst.“ Er ließ sein Graben an der Grube sein, schaute nach oben und sah seine Schönheitsfülle. Da er nicht wusste, ob es ein Mensch sei oder ein Gott, sprach er folgende Strophe:

[§7] „Bist du'ne Gottheit, ein Gandharva oder Sakka Purindada? Wer bist du oder wessen Sohn? Als wen sollen wir dich erkennen [5]?“

Darauf offenbarte sich ihm das große Wesen und sprach, ihn die Wahrheit lehrend:

[§8] „Ich bin kein Gott und kein Gandharva, auch nicht Sakka Purindada; ich bin der Sohn des Kasi-Königs, den du im Grabe willst vergraben. [§9] Von jenem König bin der Sohn ich, durch den du selbst dein Leben fristest; ein Unrecht tust du, Wagenlenker, wenn du im Walde mich begräbst. [§10] In welches Baumes Schatten einer sich niedersetzt oder sich hinlegt, von dem soll keinen Zweig man brechen; denn schlecht ist, wer den Freund verrät [6]. [§11] So wie der Baum, so ist der König, so wie der Zweig ist, so bin ich; so wie der Mann, der Schatten aufsucht, ebenso bist du, Wagenlenker; ein Unrecht tust du, Wagenlenker, wenn du im Walde mich begräbst.“

Obwohl aber der Bodhisattva so sprach, glaubte jener ihm nicht. Darauf dachte das große Wesen: „Ich will ihn zum Glauben veranlassen“; mit dem Beifall der Götter und, indem er mit seiner Stimme den ganzen Wald ertönen machte, begann er, folgende zehn Strophen über die Verehrung des Freundes vorzutragen:

[§12] „Viel Ehrung wird dem Mann zuteil, wenn er sein eignes Haus verlässt, und viele hängen von ihm ab, der seine Freunde nicht verrät. [§13] In welches Land er immer geht, in Flecken und in Residenzen, ist er geehrt allüberall, der seine Freunde nicht verrät. [§14] Nicht werden Räuber seiner Herr, nicht dünkt sich über ihm der Edle, all seine Feinde überwindet, wer seine Freunde nicht verrät. [§15] Vom Zorne frei geht er nachhause, gepriesen in der Volksversammlung; der höchste ist er den Verwandten, der seine Freunde nicht verrät. [§16] Selbst ehrt er und wird auch geehrt, Ehrfurcht erzeigt er und empfängt er; mit Ruhm und Ehre wird bedacht, wer seine Freunde nicht verrät. [§17] Selbst hoch achtend wird er geachtet, selbst ehrend findet er auch Ehrung; auch Ruhm und Ehre der erlangt, der seine Freunde nicht verrät. [§18] Dem Feuer gleich er weithin leuchtet, wie eine Gottheit er erglänzt; vom Glanz wird niemals der verlassen, der seine Freunde nicht verrät. [§19] Die Rinder ihm gedeihen wohl und auf dem Felde wächst das Korn; des Kornes Frucht darf er genießen, der seine Freunde nicht verrät. [§20] Wenn aus der Höhle, von dem Berge oder vom Baume fällt der Mann, so findet Zuflucht der Gestürzte, der seine Freunde nicht verrät. [§21] So wie der Wind den Feigenbaum, der seine Wurzeln stark ausbreitet, so überwält'gen nicht die Feinde den, der die Freunde nicht verrät.“

Als aber Sunanda ihn, obwohl er ihm mit so vielen Strophen die Wahrheit sagte, noch nicht erkannte, sondern dachte: „Was ist das?“, ging er nach dem Wagen hin, sah aber beides nicht, den Wagen und das Bündel mit den Schmucksachen. Als er zurückkehrte, sah er jenen an, erkannte ihn, fiel ihm zu Füßen und sprach, während er ihn mit gefalteten Händen bat, folgende Strophe:

[§22] „Komm her, ich will zurück dich führen, o Königssohn, ins eigne Haus. Führ die Regierung; Heil sei dir! Was willst du in dem Walde machen?“

Das große Wesen antwortete:

[§23] „Genug für mich mit dieser Herrschaft, mit den Verwandten, mit den Schätzen, weil ich mit ungerechtem Wandel das Reich erhielte, Wagenlenker.“

Der Wagenlenker erwiderte:

[§24] „Ein volles Maß von Freud erhältst du, o Königssohn, kehrst du zurück; die Eltern würden mich beschenken, wenn du zurückkommst, Königssohn. [§25] Die Haremsfrauen und die Prinzen, die Vesiyas [7] und die Brahmanen, auch sie würden voll Freude schenken, wenn du zurückkehrst, Königssohn. [§26] Die Elefantenkämpfer, Reiter, die Wagenkämpfer, Fußsoldaten, auch sie würden erfreut mir schenken, Wenn du zurückkehrst, Königssohn. [§27] Viel andre Leute auch vom Lande und die gesamten Stadtbewohner, sie würden mir Geschenke geben, wenn du zurückkehrst, Königssohn.“

Das große Wesen erwiderte:

[§28] „Vater und Mutter mich verstießen, dazu das Reich [8] auch und die Stadt und ferner noch sämtliche Prinzen; ich hab nicht mehr ein eignes Haus. [§29] Die Mutter hat es mir gestattet, vom Vater wurde ich verstoßen. Im Wald bleib ich allein als Büßer, denn nicht verlangt mich nach den Lüsten.“

Während so das große Wesen seiner Vorzüge gedachte, stieg Freude in ihm auf; darauf stieß er durch die Gewalt der Freude folgenden begeisterten Ausruf aus:

[§30] „Auch wenn man sich nicht damit eilt, kommt doch noch der Erfolg zustande. Reif ist mein heil'ger Wandel jetzt; erkenne dies, o Wagenlenker [9]. [§31] Auch wenn man sich nicht damit eilt, kommt doch der volle Zweck zur Reife. Mit reifer Heiligkeit verlasse die Welt ich ohne Furcht vor jemand.“

Der Wagenlenker versetzte:

[§32] „Obwohl du so schön reden kannst, hieltst immer du den Mund verschlossen. Weswegen sprachst du früher nicht bei deinem Vater, deiner Mutter?“

Darauf erwiderte das große Wesen:

[§33] „Nicht bin an Gliedern ich ein Krüppel, nicht taub, weil kein Gehör ich habe, nicht stumm, weil mir die Zunge fehlt; erkenne mich nicht an als stumm. [§34] Ich denke an mein frühres Leben, wo ich auch die Regierung führte; nachdem ich hier die Herrschaft übte, gelangt' ich in die tiefe Hölle. [§35] Nur zwanzig Jahre habe ich einst die Regierung hier geführt; doch volle achtzigtausend Jahre musste ich in der Hölle büßen. [§36] Aus Furcht vor solchem Königtum, dass sie mich nicht zum König weihten, deswegen sprach ich damals nie bei meinem Vater, meiner Mutter. [§37] Auf seinen Schoß einst setzte mich mein Vater und befahl dann also: ‘Den einen tötet, fesselt einen, mit scharfen Speeren den zerstoßet, [§38] den andren spießet auf den Pfahl!’ Solche Befehle gab er damals. Als dessen grausam Wort ich hörte, die Reden, die er da geäußert, [§39] stellt' ich mich stumm, obwohl nicht stumm, ein Krüppel, obwohl nicht verkrüppelt; im eignen Kote und Urin blieb liegen ich, ganz darin schwimmend. [§40] Um dieses armen, kleinen Lebens, das so mit Unglück ist verbunden, wer möcht' um dieses Lebens willen irgend jemand Feindschaft bezeigen? [§41] Auch wenn man sich nicht damit eilt, kommt doch noch der Erfolg zustande. Reif ist mein heil'ger Wandel jetzt; erkenne dies, o Wagenlenker. [§42] Auch wenn man sich nicht damit eilt, kommt doch der volle Zweck zur Reife. Mit reifer Heiligkeit verlasse die Welt ich ohne Furcht vor jemand.“ —

Als dies Sunanda hörte, dachte er bei sich: „Dieser Prinz hat diese große königliche Pracht wie einen Speichelklumpen von sich geworfen und ist, ohne seinen Vorsatz zu brechen, in den Wald hinausgegangen, um ein Weltflüchtling zu werden. Was brauche ich dieses schlechte Leben? Auch ich will mit ihm die Welt verlassen.“ Und er sprach folgende Strophe:

[§43] „Auch ich werde die Welt verlassen, o Königssohn, mit dir vereint. Erlaube es mir, Heil sei dir! Das Weltverlassen mir gefällt.“

Als er aber so das große Wesen bat, dachte dieses bei sich: „Wenn ich heute noch diesen die Weltflucht betätigen lasse, werden meine Eltern nicht hierher kommen. Auch wird für sie eine Schädigung daraus entstehen; diese Rosse, der Wagen und das Bündel mit den Schmucksachen werden ihnen verloren gehen. Auch wird man denken: ‘Es ist ein Dämon; hat er wohl den Wagenlenker aufgefressen?’, und so wird mir Tadel zuteil werden.“ Um sich deshalb vom Tadel zu befreien, und weil er die Förderung seiner Tugend dabei im Auge hatte, übertrug er ihm die Fürsorge für die Pferde, den Wagen und das Bündel mit den Schmucksachen und sprach, um ihm dies zu erklären, folgende Strophe:

[§44] „Wenn du den Wagen gabst zurück, komm schuldlos wieder, Wagenlenker. Schuldlos muss sein, wer Weltflucht übt; so ist's bestimmt von den Asketen.“

Als dies der Wagenlenker hörte, dachte er bei sich: „Wenn er nach meinem Weggang in die Stadt anderswohin gehen würde und sein Vater auf die Kunde von dieser Begebenheit sagte: ,Zeige mir meinen Sohn und hierher käme und ihn nicht fände, so würde er über mich die Königsstrafe [10] verhängen. Deshalb werde ich ihm meinen Vorzug verkünden und ihm das Versprechen abnehmen, nicht fortzugehen.“ Und er sprach folgendes Strophenpaar:

[§45] „Das Wort, das ich dir eben sagte, — Heil sei mit dir, o Königssohn —, gerade dieses Wort sollst du auf meine Bitte jetzt erfüllen. [§46] O bleibe du so lange hier, bis ich den König hierher führe. Dein Vater wird, wenn er dich sieht, wohl hocherfreut und fröhlich sein.“

Darauf sprach das große Wesen:

[§47] „Ich will nach deinem Worte tun, das du zu mir sagst, Wagenlenker; auch ich möchte ja gerne sehen den Vater mein, wenn er hierher kommt. [§48] Geh, Lieber, kehre bald zurück, verkünde Heil meinen Verwandten; sag meiner Mutter, meinem Vater auf meinen Auftrag meinen Gruß!“

Jener nahm den Auftrag an und:

[§49] Nachdem er dessen Füß' umfasst und ihn dazu von rechts umwandelt, bestieg der Lenker seinen Wagen und fuhr zum Tor der Königsburg. —

In diesem Augenblicke hatte gerade die Königin Canda ihr Fenster geöffnet und, indem sie dachte: „Wie wird es meinem Sohne gegangen sein?“, den Weg beobachtet, auf dem der Wagenlenker zurückkehren musste. Als sie ihn nun allein kommen sah, jammerte sie.

Um dies zu verkünden, sprach der Meister:

[§50] Als leer den Wagen sah die Mutter und ganz allein den Lenker kommen, mit Augen voll von Tränen sah sie weinend zum Wagenlenker hin. [§51] „Da kommt der Wagenlenker wieder, nachdem er meinen Sohn getötet; erschlagen wurde jetzt mein Sohn und in die Erde eingegraben. [§52] Die Feinde sind voll Freude jetzt und hoch erfreut all meine Gegner, wenn sie den Lenker kommen sehen, nachdem er meinen Sohn getötet.“ [§53] Als leer den Wagen sah die Mutter und ganz allein den Lenker kommen, mit tränenvollen Augen weinend fragte sie da den Wagenlenker: [§54] „Hat wohl der Stumme, hat der Krüppel jetzt endlich doch einmal geredet, da er geschlagen lag am Boden? Erzähle es mir, Wagenlenker! [§55] Wie hat der stumme Krüppel sich gewehrt mit Händen und mit Füßen, da er geschlagen lag am Boden? Erzähle es mir, Wagenlenker!“

Der Wagenlenker antwortete:

[§56] „Ich werde es dir melden, Edle, wenn du mir gibst Straflosigkeit, was ich gehört oder gesehen, als ich beim Königssohne war.“

Darauf sprach die Königin Canda:

[§57] „Straflosigkeit geb ich dir, Lieber; rede nur furchtlos, Wagenlenker, was du gehört oder gesehen, als du beim Königssohne warest.“

Hierauf sprach der Wagenlenker:

[§58] „Nicht stumm ist er oder ein Krüppel, ganz frei vermag er ja zu sprechen; aus Furcht nur vor der Königsherrschaft hielt er den vielen Lüsten stand. [§59] An seine vor'ge Existenz denkt er, wo er auch König war; doch als die Herrschaft er geführt, gelangt' er in die tiefe Hölle. [§60] Nur zwanzig Jahre lang hat er hier seine Herrschaft ausgeübt; doch volle achtzigtausend Jahre ward in der Hölle er gepeinigt. [§61] Aus Furcht vor diesem Königtum, dass sie ihn nicht zum König weihten, darum hat er niemals vorher mit Vater und Mutter gesprochen. [§62] Mit allen großen, kleinen Gliedern ist er versehn, ist groß und breit; der Stimme ist er mächtig, weise; so steht er auf dem Weg zum Himmel. [§63] Wenn du darum zu sehen wünschst den Königssohn, dein eignes Kind, so geh, ich will dich dorthin bringen, wo Temiya sich jetzt befindet.“

Nachdem aber der Prinz den Wagenlenker fortgeschickt hatte, bekam er Lust, die Weltflucht zu betätigen. Als Gott Sakka dessen Wunsch erkannte, sandte er den Vissakamma ab mit folgenden Worten: „Mein Lieber, der Prinz Temiya möchte die Weltflucht betätigen. Erschaffe ihm eine Laubhütte und die Ausrüstungsgegenstände eines Weltflüchtlings und komme dann wieder.“ Jener stimmte zu, ging hin und erschuf in einem drei Meilen großen Walde eine Einsiedelei, die mit Orten für die Nacht, mit Orten für den Tag, mit Lotosteichen, Brunnen und Fruchtbäumen ausgestattet war. Nachdem er dann noch die Asketenausrüstungsgegenstände erschaffen hatte, kehrte er an seinen Ort zurück.

Als dies das große Wesen sah, merkte es, dass dies alles ihm von Gott Sakka geschenkt sei. Er ging in die Laubhütte hinein, legte seine Kleider ab und nahm das Unter- und Obergewand aus rotem Bast; ein Teil legte er über die eine Schulter, band seine Flechten in einen Kranz zusammen, nahm dann eine Tragstange auf die Schultern und einen Stützstock in die Hand. So ging er aus der Laubhütte heraus, schritt voll Freude über die Herrlichkeit der Weltflucht ein paar Mal auf und ab und stieß den begeisterten Ausruf aus: „Ach das Glück, ach das Glück!“ Hierauf ging er wieder in seine Laubhütte hinein und erlangte, während er auf seinem Holzlager saß, die fünf Erkenntnisse. Zur Abendzeit ging er wieder hinaus, nahm von einem dastehenden Kara-Baume [11] Blätter, kochte sie in einem von Sakka geschenkten Topfe in ungesalzenem Wasser ohne Buttermilch und ohne Gewürz und verzehrte sie, als ob es Götterspeise wäre. Darauf betätigte er die Vollendungen und nahm dort seinen Aufenthalt. —

Als aber der König von Kasi Sunandas Worte vernommen, ließ er den Oberheerführer zu sich rufen und sprach, um die Vorbereitungen zum Fortgehen zu treffen:

[§64] „Man spanne Wagen, Pferde an, man gürte fest die Elefanten; es sollen blasen Muschelbläser und Lauten sollen auch erschallen. [§65] Es sollen feste Trommeln schallen und schöne Tamburine tönen. Die Städter sollen mich geleiten; ich geh, um meinen Sohn zu finden. [§66] Die Haremsfrauen und die Prinzen, die Vesiyas und die Brahmanen sollen rasch ihre Wagen rüsten; ich gehe, meinen Sohn zu finden. [§67] Die Elefantenkämpfer, Reiter, die Wagenkämpfer, Fußsoldaten sollen sich rasch zum Gehen rüsten; ich gehe, meinen Sohn zu finden. [§68] Versammelt sind vom Land die Leute, versammelt auch die Städter alle. Sie sollen rasch zum Gehn sich rüsten; ich gehe, meinen Sohn zu suchen.“

So schirrten auf des Königs Befehl die Wagenlenker die Rosse an, stellten den Wagen an das Tor des Palastes und meldeten es dem Könige:

Um dies zu verkünden, sprach der Meister:

[§69] Als angeschirrt die Rosse waren, die windesschnellen Sindhu-Rosse, die Lenker kamen zu dem Tor: „Im Joch sind jetzt die Rosse, Fürst.“

Darauf sprach der König:

[§70a] „Die Dicken sind nicht schnell genug, die Magern sind nicht stark genug“, „solche Rosse nehmet nicht“, sagten sie zum Wagenlenker. [§70b] Dicke und Magre ließ man weg und schirrte an passende Rosse.

Als nun der König zu seinem Sohne zog, versammelte er die vier Kasten, die achtzehn Abteilungen, das ganze Heer. Während er aber das ganze Heer versammelte, verstrichen drei Tage. Am vierten Tage zog er aus der Stadt hinaus und begab sich mit dem, was passend war mitzunehmen, nach der Einsiedelei. Hier wurde er von seinem Sohne bewillkommnet und begann eine freundliche Unterhaltung mit ihm.

Um dies zu verkünden, sprach der Meister:

[§71] Darauf bestieg der König eilig den Wagen wohl instand gesetzt und sprach zu seinen Haremsfrauen: „Ihr alle sollt begleiten mich.“ [§72] Mit Yakwedel und Diadem, mit Schwert, mit gelbem Sonnenschirm den goldrädrigen Wagen drauf bestieg er, reich geschmückt mit Gold. [§73] Und hierauf fuhr der König fort, den Wagenlenker vor sich stehend, und bald gelangte er zur Stelle, wo sich aufhielt Prinz Temiya. [§74] Als dieser ihn so kommen sah, wie er dem Feuer gleich erglänzte, umgeben von der Schar der Edlen, da sprach Temiya so zu ihm: [§75] „Geht es dir denn auch gut, mein Vater, bist du, mein Vater, auch gesund? Sind denn die königlichen Frauen, sind meine Mütter wohl und heil?“ [§76] „Gewiss geht es mir wohl, mein Sohn, und auch gesund bin ich, mein Sohn. Auch alle königlichen Frauen sind heil und wohl, all deine Mütter.“ [§77] „Bist du kein Branntweintrinker, Vater, ist unlieb dir gegorner Trank? Erfreut am Wahren und am Rechten und an Almosen sich dein Sinn?“ [§78] „Mein Sohn, ich bin kein Branntweintrinker, unlieb ist mir gegorner Trank. An Wahrheit und an Recht erfreut sich mein Sinn und am Almosen Geben.“ [§79] „Sind deine Pferde auch gesund und laufen gut die Reittiere? Sind sie von Krankheit nicht befallen, die ihren Körper heftig quält?“ [§80] „Gewiss, gesund sind meine Pferde und gut laufen die Reittiere. Sie sind von Krankheit nicht befallen, die ihren Körper heftig quält.“ [§81] „Sind blühend deine Grenzprovinzen, ist dicht bewohnt des Landes Mitte? Die Vorratshäuser und der Schatz, sind sie gefüllt und gut verwahrt? [§82] Willkommen dir, du großer König, Heil dir, dass du so gut gekommen! Man soll ein Polster jetzt bereiten, auf dem sich niederlässt der König.“

Der König setzte sich aus Ehrfurcht vor dem großen Wesen nicht auf das Polster [12]. Darauf sagte das große Wesen: „Wenn er sich nicht auf das Polster setzt, so richtet ein Blätterlager her.“ Und als dies bereitet war, sprach es folgende Strophe:

[§83] „Nachdem du dich hier hingesetzt auf das gestreute Blätterlager, so soll man dorther Wasser nehmen und damit deine Füße waschen.“

Der König aber ließ sich aus Ehrfurcht auch nicht auf das Blätterlager nieder, sondern setzte sich auf die Erde. Darauf ging das große Wesen in die Laubhütte hinein, holte die Kara-Blätter [13] heraus und bot sie dem Könige an mit folgender Strophe:

[§84] „Hier dieses Blatt von mir, das hohle, o König, ohne Salz bereitet, verzehre jetzt, du großer König; denn als mein Gast bist du gekommen.“

Darauf sprach zu ihm der König:

[§85] „Ich mag doch nicht das Blatt verzehren, denn dieses ist nicht meine Speise; von Reiskörnern will Brei ich essen, der fein beträufelt ist mit Fleischsaft.“

In diesem Augenblick kam die Königin Canda herbei, umgeben von den Haremsfrauen; sie fasste ihren lieben Sohn bei den Füßen, bezeigte ihm ihre Verehrung und stellte sich mit tränengefüllten Augen ihm zur Seite. Darauf sprach der König zu ihr: „Liebe, sieh die Nahrung unseres Sohnes“, und legte ihr ein kleines Blatt in die Hand; auch den übrigen Frauen gab er jeder ein wenig. Sie alle nahmen es mit den Worten: „Herr, solche Speise verzehrst du?“, und setzten sich nieder, indem sie sagten: „Gar zu schwere Abtötung betätigst du, Herr.“ Der König hinwiederum sagte: „Mein Sohn, dies kommt mir als etwas Wunderbares vor“, und sprach folgende Strophe:

[§86] „Als wunderbar kommt es mir vor, als etwas, das ich nicht verstehe. Für die, die solche Speise essen, warum bleibt Schönheit da erhalten?“

Jener aber sprach, um es ihm zu verkünden:

[§87] „Allein, o König, leg ich mich auf das bereite Blätterlager; und weil allein ich darauf ruhe, drum bleibt die Schönheit mir erhalten. [§88] Auch stehn nicht, mit dem Schwert umgürtet, um mich die königlichen Wächter; und weil ich so im Frieden ruhe, drum bleibt die Schönheit mir erhalten. [§89] Um das Vergangne traur' ich nicht und um die Zukunft sorg ich nicht. Der Gegenwart ich mich erfreue, drum bleibt die Schönheit mir erhalten. [§90] Durch ihre Sorge um die Zukunft, durch Trauer um Vergangenes, dadurch trocknen die Toren aus wie abgeschnittnes grünes Rohr.“

Hierauf dachte der König: „Jetzt werde ich ihm die Königsweihe erteilen und mit ihm fortziehen.“ Und indem er ihm die Herrschaft übertrug, sprach er:

[§91] „Die Elefanten und die Wagen, das Fußvolk, die Gepanzerten, auch die entzückenden Paläste, sie alle geb ich dir, mein Sohn. [§92] Den Harem auch will ich dir schenken, der reich geziert mit allem Schmuck; nimm alles hin, mein lieber Sohn, denn du sollst unser König werden. [§93] Geschickte Weiber, wohl gebildet, des Tanzes kundig und Gesanges, sie werden dich mit Lust erfreuen; was willst du in dem Walde bleiben? [§94] Von andern Königen die Töchter werd ich dir bringen reich geschmückt; wenn Söhne du gezeugt mit ihnen, kannst später du die Welt verlassen. [§95] Jung bist du und von zartem Körper, ein Knabe in der ersten Jugend. Führe die Herrschaft, Heil sei dir; was willst du in dem Walde tun?“

Darauf folgt die Unterweisung des Bodhisattva:

[§96] „Als Jüngling üb' man heil'gen Wandel, der heilig Lebende sei jung. Für zartes Alter ziemt sich Weltflucht; so haben Weise es gelehrt. [§97] Als Jüngling üb' man heil'gen Wandel, der heilig Lebende sei jung. Den heil'gen Wandel werd ich üben; denn nicht verlangt mich's nach dem Thron. [§98] Fürwahr, den Knaben sehe ich, wie ‘Mutter’ er und ‘Vater’ sagt; der kaum erhaltne liebe Sohn altert und stirbt, wie nicht geboren. [§99] Fürwahr, die Jungfrau sehe ich, das Mädchen mit den schönen Augen; wie ein Rohr oder Bambusspross wird's abgeschnitten und muss sterben. [§100] Es sterben ja die Jungen auch, die Männer, ebenso die Frauen. Drum welcher Mann könnte da meinen, er sei jung, und dem Leben trauen? [§101] Wem bei dem Ablauf einer Nacht die Lebenszeit geringer wird: wie für den Fisch bei wenig Wasser, wohin kommt er mit seiner Jugend? [§102] Beständig ist die Welt bedrängt, beständig ist sie rings umstellt, sie gehen nicht vergeblich hin; was willst du mich zum König weihen?“ [§103] „Von wem ist denn die Welt bedrängt, von wem ist sie denn rings umstellt? Wer geht denn nicht vergeblich hin? Das sage mir auf meine Frage!“ [§104] „Vom Tode ist die Welt bedrängt, vom Alter ist sie rings umstellt; die Nächte nicht vergeblich schwinden. Erkenne dieses, edler Fürst. [§105] Wie bei dem ausgespannten Faden, den immer eine Gottheit [14] webt, nur wenig noch zu weben bleibt, so ist es mit der Menschen Leben. [§106] So wie ein Fluss, der Wasser führt, bei seinem Laufe nicht umkehret, so ist es mit der Menschen Leben: es geht dahin und kehrt nicht um. [§107] So wie ein Fluss, der Wasser führt, die Bäum' am Ufer mit sich reißt, so auch durch Alter und durch Tod die Wesen werden fortgerissen.“

Als der König die Unterweisung des großen Wesens vernommen hatte, wurde er unzufrieden mit dem häuslichen Leben und bekam Lust, die Welt zu verlassen. Und er dachte: „Ich werde jetzt nicht wieder nach der Stadt zurückkehren; hier werde ich die Weltflucht betätigen. Wenn aber mein Sohn nach der Stadt ginge, würde ich ihm den weißen Sonnenschirm geben.“

[§108] „Die Elefanten und die Wagen, das Fußvolk, die Gepanzerten, auch die entzückenden Paläste, sie alle geb ich dir, mein Sohn. [§109] Den Harem auch will ich dir schenken, der reich geziert mit allem Schmuck; nimm alles hin, mein lieber Sohn, denn du sollst unser König werden. [§110] Geschickte Weiber, wohl gebildet, des Tanzes kundig und Gesanges, sie werden dich mit Lust erfreuen; was willst du in dem Walde bleiben? [§111] Von andren Königen die Töchter werd ich dir bringen reich geschmückt; wenn Söhne du gezeugt mit ihnen, kannst später du die Welt verlassen. [§112] Die Vorratshäuser und den Schatz, die Elefanten und die Heere, auch die entzückenden Paläste gebe ich dir, mein lieber Sohn. [§113] Umgeben von dem Kreis der Mädchen, geehrt auch von der Sklaven Schar führe die Herrschaft; Heil sei dir! Was willst du in dem Walde tun?“

Darauf sprach das große Wesen, um zu verkünden, dass es nicht nach der Herrschaft verlange:

[§114] „Was soll ich mit dem Geld, das aufhört, was soll ich mit der Frau, die stirbt? Was soll die Jugend ich genießen, die doch vom Alter wird besiegt? [§115] Was gibt es denn für Freud und Scherz, welches Vergnügen, welche Habsucht? Was soll mit Kindern ich und Frauen? O König, frei bin ich von Banden. [§116] Das Folgende erkenn ich wohl: der Tod lässt doch nicht ab von mir. Für den dem Tod Verfallenen was ist Vergnügen, was ist Habsucht? [§117] So wie bei reifen Früchten immer die Furcht besteht herabzufallen, so herrscht bei allen Sterblichen beständig vor dem Tode Furcht. [§118] Am Abend sieht man manche nicht mehr, am Morgen sah man viele Leute; am Morgen sieht man manche nicht mehr, am Abend sah man viele Leute [15]. [§119] Heut noch ist Anstrengung zu üben, wer weiß, ob er nicht morgen stirbt? Denn nicht gibt es für uns Verträge mit diesem allgewalt'gen Tod. [§120] Die Räuber nach dem Geld verlangen; o König, frei bin ich von Banden. Geh, König, kehre wieder um, denn mich verlangt nicht nach dem Thron.“

So war die Verkündigung des großen Wesens der Reihe nach zum Ende gekommen. Als sie diese vernahmen, bekamen alle sechzehntausend Palastbewohner vom König und von der Königin Canda angefangen Lust, die Weltflucht zu betätigen. Der König ließ in der Stadt durch Trommelschlag verkünden: „Diejenigen, welche bei meinem Sohne die Weltflucht zu betätigen wünschen, sollen die Welt verlassen.“ Auch ließ er die Türen aller Goldvorratshäuser u. dgl. öffnen; ferner ließ er auf eine goldene Platte einritzen: „An dem Orte so und so und an dem Orte so und so sind große Töpfe mit Schätzen; diese soll man nehmen“, und ließ diese Platte an einer Säule befestigen, die aus einem großen Bambusrohr bestand. Auch die Stadtbewohner verließen ihre Häuser mit geöffneten Toren, als wären es offene Läden, und gingen zum König hin. Der König aber betätigte mit der großen Volksmenge bei dem großen Wesen die Weltflucht.

Die von Gott Sakka geschenkte Einsiedelei war drei Meilen groß. Das große Wesen verteilte die Laubhütten. In der Mitte die Laubhütten gab er den Frauen mit der Bemerkung: „Sie sind furchtsam von Natur“; den Männern aber gab er die äußeren Laubhütten. Sie alle betätigten die Asketenpflichten, indem sie an den von Vissakamma erschaffenen Fruchtbäumen zur Zeit, da sie Uposatha hielten, auf der Erde stehend die Früchte nahmen und sie verzehrten. Wer einen Lustgedanken oder einen Hassgedanken oder einen Verletzungsgedanken bei sich erwog, dessen Gesinnung erkannte das große Wesen, setzte sich in der Luft nieder und verkündigte ihm die Wahrheit. Wenn sie diese vernahmen, erlangten sie schon in kurzer Zeit die Erkenntnisse und die Vollkommenheiten. —

Ein benachbarter König zog auf die Kunde, dass der König von Kasi die Welt verlassen habe, in die Stadt ein, um in Benares die Herrschaft zu ergreifen. Er sah die Stadt geschmückt, stieg in den königlichen Palast hinauf und betrachtete die sieben Arten der schönsten Kleinodien. Da dachte er: „Wegen dieser Schätze muss eine Furcht bestehen.“ Er ließ die Trunkenbolde [16] zu sich rufen und fragte sie: „Zu welchem Tore ist der König hinausgezogen?“ Als sie antworteten: „Zum Osttore hinaus“, verließ auch er die Stadt durch dieses Tor und zog am Flussufer weiter. Als das große Wesen dessen Herannahen bemerkte, kam es dorthin, setzte sich in der Luft nieder und erklärte ihm die Wahrheit; darauf betätigte auch jener bei ihm die Weltflucht. Ebenso tat noch ein dritter; so wurden im ganzen drei Königreiche aufgegeben. Die Elefanten wurden zu wilden Elefanten, die Pferde wurden zu wilden Pferden. Die Wagen aber gingen im Walde zugrunde. Die Goldmünzen aus den Schatzhäusern behandelte man in der Einsiedelei wie Sand und warf sie fort. So erlangten sie alle die acht Vollkommenheiten und wurden am Ende ihres Lebens Bewohner der Brahmawelt. Auch die als Tiere lebenden Elefanten und Pferde befriedigten ihren Sinn an der Asketenschar und wurden in den sechs Kama-Welten [17] wiedergeboren.

[§C]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, fügte er hinzu: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon gab ich die Königsherrschaft auf und verließ die Welt“; und hierauf verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Die damals im Sonnenschirme wohnende Gottheit war Uppalavanna, der Wagenlenker war Sāriputta, die Eltern waren die Großkönigsfamilie, das Gefolge war das Buddhagefolge, der weise stumme Krüppel aber war ich.“ —

[§E]

Nachdem [18] sie nach der Insel Ceylon gekommen waren,

  • der zu Mamgana wohnende Thera Khuddakatissa [19],
  • der Thera Mahavamsaka [20],
  • der zu Katakandhakara wohnende Thera Phussadeva [21],
  • der zu Uparimandalakamala wohnende Thera Maharakkhita,
  • der zu Bhaggari wohnende Thera Mahatissa,
  • der zu Vamattapabbhara wohnende Thera Mahasiva,
  • der zu Kalavela wohnende Thera Mahamaliyadeva:

diese Theras sollen, wie man sagt, bei der im Kuddalaka-Jātaka [Jātaka 70], im Mugapakkha-Jātaka [dies Jātaka], im Ayoghara-Jātaka [Jātaka 510] und im Hatthipala-Jātaka [Jātaka 509] genannten Versammlung zuletzt gekommen sein.

Der zu Maddha wohnende Thera Mahanaga und der Thera Maliyamahadeva sagten an dem Tage, da sie zum völligen Nirvana eingingen: „Freunde, die Versammlung im Mugapakkha-Jātaka ist heute zu Ende gegangen.“ Als man sie fragte: „Warum, ehrwürdiger Herr?“, antworteten sie: „Freunde, ich war damals ein Branntweintrinker; als ich keine mehr fand, die mit mir Branntwein tranken, verließ ich zuallerletzt die Stadt und betätigte die Weltflucht.“

Ende der Erzählung von dem stummen Krüppel

Anmerkungen:

1.
Es kann auch heißen: „ein König von Kasi“.
3.
Nach der Lesart einer andern Handschrift: „die Milch“.
4.
Nach der Lesart einer Handschrift, die immerhin etwas klarer ist als die bei Fausböll im Text stehende.
5.
Diese Strophe wird auch sonst bei ähnlichen Gelegenheiten im Jātaka-Buche zitiert; so im Jātaka 529 Strophe 64.
6.
Diese Strophe steht im Petavatthu p. 23; außerdem im Jātaka 58 Strophe 30 (??).
7.
„Vesiya“, skr. „vaisya“, sind die Angehörigen der dritten Kaste, sonst oft Hausväter genannt.
8.
Dem Sinne nach ist „rattham“ statt „ratham“ zu lesen.
9.
Diese Strophe steht auch im 8. Jātaka.
10.
Die Todesstrafe, die auf Verbrechen gegen den König oder gegen dessen Haus steht.
11.
Der Baum Canthium parviflorum.
12.
Dieser Satz, der bei Fausböll im Kommentar steht, gehört, wie auch Cowell und Rouse, die Herausgeber des 6. Bandes der englischen Übersetzung, merken, in den Text. Auch ihre Emen-dation „pallamke na“ statt „pallamkena“ ist evident.
13.
Vgl. oben Anm. 11.
14.
Cowell fasst „dev'“ als Verkürzung von „devi“ auf und übersetzt „a lady“.
15.
Diese und die vorangehende Strophe finden sich auch im Jātaka 461 Strophen 5-6.
16.
Diese als die größten Sünder in den Augen der Buddhisten waren natürlich in der Stadt zurückgeblieben.
17.
Die niederen Götterwelten, wie die Welt der dreiunddreißig Götter usw. In ihnen genossen die Inwohner noch Sinnenlust, im Gegensatz zu den Bewohnern der höheren Götterwelten, der Brahmawelt.
18.
Diese nachträgliche Bemerkung ähnelt der Notiz am Ende des Jātaka 509.
19.
Auf Deutsch: „Klein Tissa“, ein im Jātaka 14 gepriesener Mönch.
20.
Weil bei diesem Namen die Ortsbenennung fehlt, ist er vielleicht nur Apposition zum vorhergehenden, „der Thera von großem Ruhme“.
21.
Dieser und die nächsten sind auch a. a. O. [am Ende des Jātaka 509] genannt.
Anmerkung jb:

Das Antwortstanza zu Strophe 81 (82. im Pali-Text) dürfte hier fehlen. Nach der 110. (111.Pali) dürfte auch eine Strophe fehlen.

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