„Wer hat denn nun mit lautem Schall“
[§A]Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Kokālika. Zu dieser Zeit nämlich rezitierten viele hochgelehrte Mönche, wie wenn junge Löwen in der Manosila-Ebene ihren Schrei ausstoßen oder wie wenn sie die himmlische Ganga [2] herabkommen ließen, inmitten der Mönchsgemeinde die Lehre [3]. Als nun diese die Lehre rezitierten, dachte Kokālika, da er seine eigene Leere nicht erkannte: „Auch ich will die Lehre rezitieren.“ Und er ging zu den Mönchen hinein und sagte: „Uns beauftragt man nicht mit der Rezitation der Lehre. Wenn uns das Los träfe, würden auch wir sie rezitieren.“ So redend wanderte er überall herum, ohne von der Mönchsgemeinde eine Antwort zu erhalten.
Seine Rede aber ward unter der Mönchsgemeinde bekannt. Die Mönche verabredeten sich: „Wir wollen ihn sogleich auf die Probe stellen“, und sagten zu ihm: „Lieber Kokālika, rezitiere du heute die Lehre.“ Da er seine Kraft nicht kannte, stimmte er zu mit dem Worte: „Gut“; und indem er dachte: „Heute will ich die Lehre rezitieren“, trank er ihm zusagenden Reisschleim, aß Kuchen und genoss auch ihm zusagende Suppe.
Als die Sonne untergegangen war und die Zeit zum Anhören der Lehre ausgerufen wurde, versammelte sich die Mönchsgemeinde. Jener zog ein duftendes Unterkleid von der Farbe der Kantakuranda-Blume [4] an, nahm ein Oberkleid von der Farbe der Kannikara-Blume [5] und ging so zu der Mönchsgemeinde hinein. Nachdem er die Theras begrüßt, bestieg er in dem geschmückten Edelsteinpavillon den hergerichteten Lehrsitz, nahm einen bemalten Fächer und setzte sich nieder, indem er dachte: „Jetzt will ich die Lehre rezitieren.“ Da kamen ihm sogleich an seinem Leibe die Schweißtropfen hervor und er geriet in Verwirrung. Nachdem er den ersten Vers der vorhergehenden Strophe hergesagt, fand er den folgenden nicht [6]. Zitternd erhob er sich von seinem Sitze, verließ voll Scham die Mönchsgemeinde und ging in seine Zelle. Ein hochgelehrter Mönch aber rezitierte an seiner Stelle die Lehre. Von da an kannten die Mönche seine geistige Leere.
Eines Tages nun begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, zuerst war Kokālikas geistige Leere unbekannt; jetzt aber hat er sie durch sein Geschrei selbst bekannt gemacht.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als er zur Antwort erhielt: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, ist Kokālika durch sein Geschrei bekannt geworden, sondern auch schon früher verriet er sich durch sein Geschrei.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einem Löwengeschlechte im Himalaya-Gebirge seine Wiedergeburt und war König über viele Löwen. Von einer Anzahl von Löwen umgeben, hatte er in der Silberhöhle seinen Aufenthalt. Unweit von ihm wohnte in einer Höhle auch ein Schakal. — Als nun eines Tages nach dem Regen wieder schönes Wetter eingetreten war, versammelten sich alle Löwen am Eingang zur Höhle des Löwenkönigs und trieben ihre Löwenbelustigungen, indem sie den Löwenruf ausstießen. Als sie sich so mit Schreien belustigten, stieß auch der Schakal einen Schrei aus. Als aber die Löwen dessen Stimme vernahmen, schämten sie sich, dass auch der Schakal mit ihnen zusammen schreie, und schwiegen. Als sie so verstummt waren, fragte der Sohn des Bodhisattva, ein junger Löwe, seinen Vater: „Vater, während diese Löwen mit Schreien sich nach Löwenart belustigten, sind sie aus Scham verstummt, da sie dessen Stimme hörten. Wer ist dieser, der sich durch seine Stimme selbst verraten?“ Und er sprach folgende erste Strophe:
Als der Vater dessen Worte vernahm, sprach er folgende zweite Strophe:
Nachdem der Meister mit den Worten: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, verrät sich Kokālika selbst durch sein Geschrei, sondern auch schon früher tat er so“, die Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der Schakal Kokālika, der junge Löwe war Rāhula, der Löwenkönig aber war ich.“
Ende der Erzählung von Daddara