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J b3.05
{Sutta: J i 001 } {Vaṇṇanā: atta. b3.05|atta. b3.05}
Die fünfte Woche nach der Erleuchtung
b3.05
Die Versuchung durch Maras Töchter
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche von:
Julius Dutoit

Nachdem er so in der Nähe des Bodhi-Baumes vier Wochen verbracht hatte, begab er sich in der fünften Woche nach dem Ajapala-Feigenbaum. Während er hier die Lehre [189] überdachte, saß er auch dort, des Glückes der Loslösung sich erfreuend.

Zu dieser Zeit dachte sich der Göttersohn Mara: „Obwohl ich ihn so lange Zeit verfolgte und nach einem Fehltritt von ihm ausschaute, sah ich kein Straucheln an ihm; jetzt ist er aus meiner Gewalt herausgekommen.“ Voll Betrübnis setzte er sich an die Heerstraße, und indem er über sechzehn Dinge nachdachte, schrieb er auf den Boden sechzehn Sprüche:

  1. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung im Almosen Spenden; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als ersten Spruch. Dann schrieb er:
  2. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung in der Tugend; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als zweiten Spruch.
  3. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung in der Entsagung; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als dritten Spruch.
  4. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung in der Weisheit; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als vierten Spruch.
  5. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung im Streben; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als fünften Spruch.
  6. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung in der Geduld; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als sechsten Spruch.
  7. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung in der Wahrheit; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als siebten Spruch.
  8. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung im Entschluss; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als achten Spruch.
  9. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung in der Liebe; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als neunten Spruch.
  10. „Ich erfüllte nicht wie dieser die Vollendung im Gleichmut [190]; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als zehnten Spruch.
  11. „Ich habe nicht wie dieser die zehn Vollendungen erfüllt, die Grundlagen für die Erreichung der unvergleichlichen, die Sinne übersteigenden Erkenntnis; darum bin ich ihm nicht gleich geworden“; dies schrieb er als elften Spruch. Dann schrieb er:
  12. „Ich habe nicht wie dieser die zehn Vollendungen erfüllt, die Grundlagen für die Erreichung der unvergleichlichen Erkenntnis der Gedanken und Wünsche; darum bin ich ihm nicht gleich geworden.“ Dies schrieb er als zwölften Spruch.
  13. „Ich habe nicht wie dieser die zehn Vollendungen erfüllt, die Grundlagen für die Erreichung der Erkenntnis der großen Mitleidsbetätigung; darum bin ich ihm nicht gleich geworden.“ Dies schrieb er als dreizehnten Spruch.
  14. „Ich habe nicht wie dieser die zehn Vollendungen erfüllt, die Grundlagen für die Erreichung der Erkenntnis eines Doppelwunders; darum bin ich ihm nicht gleich geworden.“ Dies schrieb er als vierzehnten Spruch.
  15. „Ich habe nicht wie dieser die zehn Vollendungen erfüllt, die Grundlagen für die Erreichung der Erkenntnis der Beseitigung von Hindernissen; darum bin ich ihm nicht gleich geworden.“ Dies schrieb er als fünfzehnten Spruch.
  16. „Ich habe nicht wie dieser die zehn Vollendungen erfüllt, die Grundlagen für die Erreichung der Erkenntnis der Allwissenheit; darum bin ich ihm nicht gleich geworden.“ Dies schrieb er als sechzehnten Spruch.
  17. So saß er da, indem er über diese Dinge auf die Heerstraße seine Sprüche schrieb.

    Zu dieser Zeit dachten Tanha, Arati und Raga, die Töchter Maras [191]: „Man sieht unseren Vater nicht; wo ist er wohl jetzt?“ Als sie nach ihm ausschauten, sahen sie, wie er voll Kummer die Erde beschrieb. Da gingen sie zu ihrem Vater hin und fragten ihn: „Warum bist du, Vater, unglücklich und betrübt?“ Er antwortete: „Ihr Lieben, dieser große Asket ist aus meiner Gewalt herausgekommen. Obwohl ich ihn so lange beobachtete, konnte ich keinen Fehler an ihm entdecken; darum bin ich unglücklich und traurig.“ Die Töchter erwiderten: „Wenn es sich so verhält, so seid unbekümmert; wir werden ihn in unsere Gewalt bringen und mit ihm zurückkehren.“ Er versetzte: „Meine Töchter, dieser kann von niemand in seine Gewalt gebracht werden; auf unerschütterlichem Glauben ruht dieser Mann.“ Doch seine Töchter entgegneten: „Vater, wir sind doch Weiber! Jetzt werden wir ihn mit den Schlingen der Begierde fesseln und herbeibringen; seid unbekümmert!“

    Sie gingen zu dem Erhabenen hin und sprachen: „Deine Füße, o Asket, wollen wir verehren.“ Der Erhabene aber beachtete weder ihre Worte noch öffnete er die Augen, um sie anzuschauen, sondern infolge der unübertrefflichen Zerstörung der Lebensbedingungen [192] von Lust befreit blieb er sitzen, indem er das Glück der Loslösung genoss. Abermals dachten die Töchter Maras: „Unregelmäßig sind die Wünsche der Männer: einige empfinden Liebe zu jungen Mädchen, einige zu Frauen in der ersten Jugend, andere zu denen, die in mittlerem Alter stehen, wieder andere zu solchen, die in höherem Alter stehen. Wie wäre es, wenn wir ihn in verschiedenen Gestalten verführten?“ Darum erschuf sich eine jede mit dem Aussehen von jungen Mädchen usw. hundert Gestalten und wurden zu Mädchen, zu Frauen, die noch nicht geboren hatten, zu Frauen, die einmal geboren hatten, zu solchen, die zweimal geboren hatten, zu Frauen mittleren Alters und zu Frauen höheren Alters. So gingen sie sechsmal [193] zu dem Erhabenen hin und sprachen: „Deine Füße, o Asket, wollen wir verehren.“ Aber auch dies beachtete der Erhabene nicht, weil er infolge der unübertrefflichen Zerstörung der Lebensbedingungen befreit war. — Einige Lehrer aber sagen: „Als der Erhabene diejenigen sah, die in Gestalt von alten Frauen gekommen waren, fasste er den Entschluss: Ebenso sollen auch diese ihre zerbrochenen Zähne und grauen Haare behalten.“ Dies ist nicht anzunehmen; denn der Meister fasst nicht einen solchen Entschluss.

    Der Erhabene aber sagte: „Geht fort! Wen sehet ihr, dass ihr euch so anstrengt? Solches ziemt sich vor Leuten zu tun, von denen die Lüste u. dgl. noch nicht fern sind. Der Vollendete aber hat die Lust aufgegeben, er hat den Hass aufgegeben, er hat die Verblendung aufgegeben.“ Mit Beziehung auf seine Aufgabe der Befleckung sprach er folgende zwei Strophen aus dem Buddhavagga des Dhammapadam [194]:

    [§280] „Ihn, dessen Sieg nicht wird besiegt, an dessen Sieg kommt niemand in der Welt, den Buddha, weilend im Unendlichen, zu welcher Spur führt ihr den Spurlosen [195]? [§281] Ihn, den verstrickende Begierde und Lust kann nirgendwohin führen, den Buddha, weilend im Unendlichen, zu welcher Spur führt ihr den Spurlosen?“

    So verkündete er ihnen die Wahrheit. Da versetzten sie: „Die Wahrheit sprach fürwahr unser Vater, als er sagte: ‘Der Heilige, der recht Wandelnde in der Welt ist durch Lust nicht leicht zu verführen.’“ Nach diesen und ähnlichen Worten kehrten sie zu ihrem Vater zurück.

Anmerkungen

189.
Das Wort „dhamma“ ist wohl hier als Dhamma-Pitaka aufzufassen, der zweite Teil des Tipitaka (= Sutta-Pitaka).
190.
Die 10 Tugenden, die oben in den Strophen 125 - 175 näher ausgeführt sind.
191.
Die Namen bedeuten: „Durst“, „Unzufriedenheit“, „Verlangen“. Vgl. zum Folgenden die Schilderung im Samyutta-Nikaya (Mara-Samyutta III, 5), übersetzt in „Leben des Buddha“, S. 55 ff.
192.
Darunter sind verstanden: die Khandhas (Gestalt, Empfindung usw.), die Lust, die Befleckung und das Karma.
193.
Nämlich in den sechs eben erwähnten Gestalten.
194.
Die beiden Strophen finden sich im Dhammapadam am Anfang des „Buddhakapitels“, Verse 179 und 180.
195.
Das Wortspiel, „padena apadam“ ist schwer nachzuahmen, „apado“, der Spurlose, bedeutet einen, der befreit ist von den Bedingungen zur Wiedergeburt.
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